Beobachten vs. Bewerten

Beobachten vs Bewerten
Was sehen Sie, wenn Sie diese beiden Männchen anschauen? Denken Sie einen Augenblick darüber nach.

 

In einer Welt voller Bedeutung sehen Sie vielleicht zwei Personen, die in einer Diskussion sind. Der eine sieht doch etwas ratlos aus, oder? Vielleicht setzt der andere ihn gerade unter Druck oder versucht ihn eindringlich von etwas zu überzeugen. Vielleicht fragt der linke den anderen einfach nur, ob er weiß wo der Autoschlüssel liegt und der rechte weiß es nicht und antwortet mit einem Schulterzucken.

Wenn ich nur die Szene beobachte, sehe ich die linke Person, die einen Arm nach vorne streckt und einen leicht angewinkelt hat. Ihr Gesicht scheint der anderen Person zugewandt. Ich sehe eine zweite Person, welche die Schultern hochzieht. Ich sehe zwei, die nebeneinander stehen. Im NLP wird diese Art der Beobachtung auch „sensorisch definit“ oder sinnlich korrekte Wahrnehmung genannt.

Was ist der Unterschied?

In der Welt der Bedeutung vergebe ich einen Sinn für das was ich da sehe. Ich ziehe aus meinen Erfahrungen, Erinnerungen, Wissen und auch Informationen Dritter Rückschlüsse und interpretiere die Situation. Das Bild ist die Vorlage und die Bedeutung macht ein Drehbuch daraus und füllt das Bild mit Leben. Hier werden Gefühle, Worte oder auch Geschehnisse herangezogen, die es wahrscheinlich nicht gibt. Es bleibt uns auch kaum eine andere Möglichkeit, unser Gehirn ist daran gewöhnt und tut dies auf Autopilot. Bedeutungen sind nicht mehr als Gedanken und führen uns oft in die Irre.
Fakt ist, dass Sie meist nicht wissen, weshalb Menschen so oder so schauen, etwas sagen oder nicht sagen, schlecht oder gut gelaunt sind. Da hilft nur eines: nachfragen. Oder sich auf die Welt der Beobachtung zurück besinnen.

Beobachten vs Bewerten BeitragsbildIn der Welt der Beobachtung sehe ich nur, was ich mit meinen Sinneskanälen wahrnehmen kann. Was nach realen, menschlichen Maßstäben nachvollziehbar ist. Darin sind sich auch alle Beobachter einig. Das linke Männchen ist mit blau angemalt, das rechte mit einem Lila-Ton. Über die Nuancen der Farbtöne können wir gerne diskutieren, doch über die Arm-Haltung des linken Männchens gibt es wenig Diskussionsbedarf. Ebenso, dass die Schultern beim rechten Männchen nach oben gezogen sind. Es ist eine Kunst nur zu Beobachten. Der Vorteil nur die sinnesspezifischen Dinge zu sehen besteht darin, dass wenig Emotionen und vorgefertigte Meinungen darin enthalten sind. Der Kopf bleibt offen für neue Informationen und Sie bleiben in Kontakt mit dem Gegenüber. Sie können hinterfragen, was sie sehen und nehmen nicht Ihre vergebenen Bedeutung als „die Wahrheit“ an. Viele Konflikte leben davon, dass ich meine Bedeutung als Wahrheit akzeptiert habe und darauf entsprechend reagiere. Meine Bedeutung löst in mir schon Emotionen und Reaktionen aus und der andere hat kaum eine Chance.

Hier eine passende Kurzgeschichte aus Paul Watzlawick’s “Anleitung zum unglücklich sein”, welche die Wirkung der Bedeutungswelt sehr schön darstellt:

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Vielleicht hat er die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er “Guten Tag” sagen kann, schreit ihn unser Mann an: “Behalten Sie Ihren Hammer”.

Was kann ich tun?

Üben Sie zu Beobachten. Hinterfragen Sie aufkommende Gedanken und lernen Sie die Trennung zwischen Beobachten und Bewerten. Mir hilft es, unklare Gedanken mit der Antwort zu versehen „Die Wahrheit ist: Ich habe keine Ahnung.“ Und dann eröffnet sich die Möglichkeit entweder nachzufragen oder die Beobachtung so zu belassen.
Was hilft mehr als üben? Noch mehr üben. Und die Verantwortung für die eigene Kommunikation und vor allem die eigenen Gedanken zu übernehmen. Da es meine sind, kann ich diese auch verändern.
Es hilft auch zu akzeptieren, dass wir nur Menschen sind. Zum Menschsein gehören Fehler, Emotionen, Gedanken und auch die Bedeutungsvergabe. Und wenn wir Menschen eines nicht sind, dann perfekt. Hier gilt das Motto “Du hast keine Chance, nutze sie.”

Hilfestellung zur Übung

Was kann ich beobachten?

  • Was ich sehen kann: Körperhaltung, Farben, Muskelspannung, Mimik, Atmung etc. Auch alle äußerlichen Merkmale, wie z.B. Kleidung.
  • Was ich hören kann: Sprechtempo, Tonlage, Lautstärke, etc.
  • Was ich riechen kann: Schweiß, Alkohol, Parfüm oder weitere Gerüche.
  • Und auch was ich fühlen kann: Muskelspannung, Hautfeuchtigkeit und –Temperatur, Druck, etc.

Noch ein Tipp: Aus der gewaltfreien Kommunikation (GFK) gibt es ein frei verfügbares Spiel im Web oder als Android App. Wenn Sie hier die Fragekategorie auf „Wahrnehmung oder nicht?“ einstellen, können Sie die Unterscheidung Beobachtung (Wahrnehmung) und Bewertung sehr gut üben:
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